Die Haus-Kirchen-Bewegung

(Haus-Gemeinden-Bewegung)

von L. Smith

(Ins Deutsche übersetzt von Joachim Hübel)

 

Trotz intensiver Recherche konnte die Quelle dieses Artikels, der aus den USA stammt, nicht ermittelt werden.

 

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Vorwort:

Der gute Artikel von L. Smith erhält gerade heute durch die Corona-Krise eine neue Brisanz und Dringlichkeit.

Nicht nur die etablierten Volkskirchen haben sich im Laufe der Kirchengeschichte weit von der neutestamentlichen Bauanleitung für „Gemeinde“ entfernt. Seit geraumer Zeit durchlaufen auch die Freikirchen einen Institutionalisierungsprozess. Das Resultat davon sind Gemeinden, die vielerorts nur noch ein trauriges Zerrbild dessen sind, was uns die biblische Lehre als wahre „Gemeinde“ (ecclesia) vor Augen stellt. Die Gottesdienste sind vielfach zum religiösen Unterhaltungsprogramm mutiert mit eingeschliffener „Liturgia“ (Gottesdienstordnung). Doch die Gläubigen werden durch diese Veranstaltungen nicht wirklich erbaut und zur notwendigen Reife und geistlichen Mündigkeit geführt. In den Predigten wird ihnen oftmals nur noch der dünne Aufguss einer Populärtheologie verabreicht. Diese reicht aber nicht aus, eine schriftgemäße Gottes- und Heilserkenntnis zu vermitteln und lebendigen, krisenfesten Glauben aufzubauen, der sich in Zeiten wie diesen bewährt, und der sie fit macht für den mehr und mehr einsetzenden Gegenwind.

Die Corona-Krise ist ein Indikator, der deutlich macht, wo die Gemeinden und wo die Einzelnen geistlich stehen. Statt umzukehren von eingefahrenen, falschen Wegen und sich auf das Wesentliche zu besinnen, versuchen manche jetzt einfach irgendwie weiterzumachen. Die Verantwortlichen erkennen nicht, dass Jesus Christus einen „neuen Tag“ für seine Gemeinde gemacht hat. Er will sein Volk zurückführen zu seiner Vorstellung von Gemeinde. Und diese lautet: lebendige authentische Gemeinschaften und „Haus-Kirchen“, in denen die Gläubigen einander in den empfangenen Geistesgaben dienen. Dort sollen die Einzelnen geistlich trainiert werden für ein standfestes Leben in den Stürmen dieser Welt. Außerdem sollen sie dort für Seine Wiederkunft „entrückungstauglich“ gemacht werden. Wohl denen, die jetzt ein „offenes Ohr haben, zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,7.11.17.29).

L. Smith hilft uns mit seinem motivierenden Artikel, genau hinzuhören.

 

Joachim Hübel, Bamberg im August 2020

 

 

Die Haus-Kirchen-Bewegung

(Haus-Gemeinden-Bewegung)

Von L. Smith

 

Ein größtenteils verborgenes und doch wachsendes Phänomen verändert das Gesicht des Christentums im Westen und beeinflusst zutiefst die Art und Weise, wie Christen ihren Glauben praktizieren: Enttäuscht über den Mangel an neutestamentlicher Realitäten, über die missbräuchliche Ausübung von Autorität und über den sich ausbreitenden Abfall vom Glauben innerhalb großer Teile des institutionalisierten Christentums versammeln sich Tausende Christen in Amerika, Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien zu Hause, um gemeinsam die Heilige Schrift (Bibel) zu studieren, das Abendmahl zu teilen und die Gemeinschaft und die Einfachheit (Authentizität = Echtheit/Unmittelbarkeit) des Christentums des ersten Jahrhunderts zu erleben.

 

 

"Ja, wir befinden uns gerade mitten in den Anfängen einer souveränen, sehr radikalen Bewegung Gottes", sagt Nate Krupp, Herausgeber des Buches "Gottes einfacher Plan für seine Gemeinde" auf der Website seiner Heimatgemeinde Radical Christianity (Radikales Christentum). "Wir sehen, wie Gott unglaubliche Dinge tut: Menschen verlassen die institutionelle Kirche zu Tausenden; sie haben es satt, Publikum (Veranstaltungsteilnehmer) zu sein, anstatt Leib Christi zu sein; sie stellen zunehmend alles Geld in Frage, das in Gebäude fließt; sie haben es satt, kontrolliert und manipuliert zu werden; sie sehnen sich danach, ihre persönlichen Gaben und Fähigkeiten einzusetzen, um Gott zu dienen und "das Priestertum aller Gläubigen" verwirklicht zu sehen, anstelle eines "Klerus" (= der Stand der Geistlichen), der sie unterhält; und sie sehnen sich danach, dass der Heilige Geist sich frei bewegen kann, anstatt dass alles kontrolliert und überwacht wird. Gott erweckt in diesen Tagen eine souveräne, massiv wachsende Bewegung von Menschen, die danach streben, sich wie die frühen Christen in der Apostelgeschichte zu verhalten. Die Gläubigen wenden sich von allen Programmen und Angeboten ab und kehren zu ihrer „ersten Liebe“ zu Jesus zurück.“

In einem kürzlich stattgefundenen Interview behauptete P. Krupp, er habe sich 1966 nach einer Phase ernsthafter theologischer Überlegungen zu einer Rückkehr zum radikalen Christentum verpflichtet. "Nach einer Woche Gebet und Erforschen der heiligen Schriften, um herauszufinden, ob Gott einen Plan für seine Gemeinde hat, bin ich zu sehr radikalen Schlussfolgerungen gelangt", erklärt Krupp. "Gott hat einen konkreten Plan für seine Gemeinde! - Er ruft sein Volk zurück zum radikalen Christentum des Neuen Testaments. Seit den späten 80ern bin ich in den USA und auf der ganzen Welt unterwegs, um diese Botschaft zu verbreiten."

 

Krupp charakterisiert das radikale neutestamentliche Christentum als eine Bewegung weg von Diensten und Programmen, die von Geistlichen (Klerikern/Theologen) dominiert werden, hin zu Versammlungen, an denen sich alle Gläubigen beteiligen – weg von einem Evangelium des "leichten Glaubens" (= Light-Version des Christseins), hin zum Evangelium des Königreichs mit einem Aufruf zu radikaler Umkehr und Unterwerfung unter Christus als Herrn – weg von der Ein-Mann-Führung (= monarchischer Episkopat) hin zur Pluralität der Dienstführung – und weg von der Versammlung in Kirchengebäuden, hin zur Versammlung in Häusern. "Ich glaube nicht, dass Gebäude als heilige Kultstätten biblisch sind", behauptet Krupp. "Das ist ein Teil des alten Systems (der alten Ökonomie / der alten Ordnung). Als Christus kam, hat er die alte Ökonomie (Haushaltung) abgeschafft. Das Neue Testament sagt uns, dass wir als Volk Gottes jetzt der Tempel des Heiligen Geistes sind. Jesus sagte der Frau am Jakobs-Brunnen in Johannes-Evangelium Kapitel 4, dass die Zeit kommen würde, in der die Anbetung Gottes nicht länger auf einen [heiligen] Ort (d.h. den Tempel in Jerusalem oder den Berg Garizim in Samaria) beschränkt oder mit diesem verbunden sein würde. Unser ganzer Lebensstil würde dann darin besten, ein Akt der Anbetung zu sein.“

 

James D.G. Dunn, Professor für Neues Testament an der Universität von Durham, beleuchtet in seinem Buch "The Parting of the Ways Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity" (Die Trennung der Wege von Christentum und Judentum und ihre Bedeutung für den Charakter des Christentums) den Vorfall, der in der Mitte des ersten Jahrhunderts zu dem unversöhnlichen Bruch zwischen dem Christentum und dem vorherrschenden tempelzentrierten Judentum führte. "Es ging um den Tempel, nicht [allein nur] um die Behauptung, dass Jesus der Messias sei, was zur massiven Feindseligkeit gegen Stephanus führte", erklärt Dunn. "Als sich die neue Lehre gegen den Tempel richtete, fingen die Warnlichter an zu blinken. Die große Gemeinschaft der [jüdischen] Hellenisten hatte zu viel in den Tempel investiert, um jegliche radikale Kritik an diesem Kult unangefochten zu lassen; und der große Kreis der Hellenisten unter den Einwohnern Jerusalems, einschließlich der Hohepriester, waren in wirtschaftlicher, politischer und religiöser Hinsicht zu sehr vom Tempel abhängig, um unter diesen Umständen untätig zu bleiben.“

 

 

Was die jüdischen Religionsführer besonders erzürnte, war Stephanus´ kühne Behauptung, dass "der Höchste nicht in Tempeln wohnt, die mit Händen gemacht wurden". (Apostelgeschichte 7:48) Dunn erklärt. "Das [griechische] Adjektiv "cheiropoieton - mit den Händen gemacht" sei in diesem Zusammenhang ein furchtbares, provokatives Wort. - Warum? - Weil dies jenes Wort war, das hellenistische Juden benutzten, um den heidnischen Götzendienst zu verurteilen. Dieses Wort nun auf den Jerusalemer Tempel bezogen, würde mit Sicherheit durch jedes jüdische Publikum Schockwellen senden … dass Gottes Gegenwart nicht in einer physischen oder von Menschen geschaffenen Seinsweise (Entität) verkörpert oder dargestellt werden könne! Der Tempel selbst war zum Götzen geworden! Der Tempel war zentral für die jüdische Gottesverehrung und für die jüdische Identität. Jeder, der in Jerusalem solche Ansichten vorbrachte (und nicht etwa aus dem sicheren Abstand von Qumran oder Leontopolis), muss ein jüdisches Publikum in Aufruhr versetzt haben", behauptet Dunn. (Hervorhebung im Original) Empört über Stephanus’ scharfe Zurechtweisung, schleppte der Sanhedrin (Hohe Rat) ihn aus der Stadt und steinigte ihn zu Tode.

Wie haben Christen auf P. Krupps radikale Schlussfolgerungen reagiert, insbesondere auf sein Eintreten für Hauskirchen? - "Im Allgemeinen sind sie sehr aufgeschlossen. Eine ganze Reihe von ihnen deutete an, dass sie bereits über etwas Ähnliches nachgedacht hätten. Ich habe sogar Ungläubige gefunden, die für diese Idee aufgeschlossen waren. Der größte Widerspruch kommt vom Klerus (von den Geistlichen)", erklärt Krupp. "Einige reagieren aus Unsicherheit. Sie haben den Eindruck gewonnen: 'Sie verlassen uns und daher steht uns nicht mehr der Zehnte zur Verfügung; wir werden in der Gemeinde nicht mehr in der Lage sein, das Budget (den erforderlichen Haushaltsplan) einzuhalten.'"

 

Calvin Guy, einstiger Vorsitzender der Missionsabteilung des Southern Baptist Theological Seminary, erörterte in einem Artikel mit dem Titel „Pilgerfahrt in Richtung der Hauskirche: Barrieren, die die Verbreitung des Evangeliums behindern“ die subtilen Unterschiede, die zwischen der Praxis des (ursprünglichen) neutestamentlichen Christentums und der Praxis von dessen (heutigem) zeitgenössischem Gegenstück bestehen. – Er schreibt. "Wir reden über das Kirchengebäude, wenn wir davon sprechen, dass wir „in die Kirche gehen“; sie sprachen von der Gemeinde (Versammlung), die sich im Haus einer Person zusammenfand. (Siehe Römer 16: 5; 1 Korinther 16:19;  Kolosser 4:15 und Philemon 2) Alle verfügbaren Mittel, die bisher in den liebevollen Dienst an Witwen und Waisen investiert wurden, wurden bald schon für die Kosten, die zur Errichtung, Wartung und Versorgung eines Gebäudes erforderlich waren, eingesetzt. Vorher war Wohltätigkeit (Diakonie) nicht ein nebensächlicher Posten des Budgets. Es war das Budget.“

 

Krupp hat allgemein zwei Arten beobachtet, wie Christen zusammenzutreffen und ihren Glauben praktizieren. "Tausende, die die institutionelle Kirche verlassen haben, beten jetzt einfach zu Hause mit ihren Familien - lediglich ein Vater, eine Mutter und deren Kinder, die sich um Christus als Haupt versammeln. Dann gibt es andere, die weitere Hauskirchen in einem Gebiet dazu gebracht haben, sich mit ihnen zu vernetzen. Einige Haus-Gemeinden werden gezielt von Gemeindegründern aufgebaut, während andere ganz spontan entstehen. Die Bewegung ist so groß, dass ich nicht in der Lage bin, mit ihnen mitzuhalten", sagt er. "Sehen Sie sich nur die Anzahl der Websites der Haus-Gemeinden im Internet an. Es ist phänomenal!"

 

Jon Zens, Herausgeber der vierteljährlichen Publikation Searching Together (Gemeinsame Suche) und ein weiterer Verfechter des neutestamentlich orientierten Gemeindelebens, hat auch einen wachsenden Zustrom von Menschen aus institutionellen Kirchen in ganz Amerika beobachtet. "Ich sehe drei grundlegende Phänomene, warum Menschen die institutionelle Kirche verlassen", erklärt J. Zen. "Nachdem sie jahrelang in der institutionellen Kirche verhungert sind, verlassen sie diese, um die Realitäten des Neuen Testaments zu entdecken. Die Menschen studieren ihre Bibeln und bemerken eine große Kluft, die zwischen dem Neuen Testament und der traditionellen Kirche besteht, und verlassen diese dann oftmals, nachdem die institutionelle Kirche ihre Bitten um Veränderung missachtet hat.“

 

Wenn das traditionelle Kirchenmodell im Laufe der Jahrhunderte einige Erfolge hatte, warum sollte man sich dann die Mühe machen, es zu ändern?! - "Während das traditionelle Ein-Mann-Modell des Gemeindebaus einige sichtbare Erfolge aufweist, gibt es viele unanfechtbare Statistiken, die darauf hindeuten, dass ein solcher Erfolg nur kurzfristig ist", antwortete Zens. "Scheidung, Selbstmord, Nervenzusammenbruch, Burnout usw. sind bei Geistlichen im Übermaß vorhanden. Das durchschnittliche Pastorat in der Southern Baptist Convention liegt unter 18 Monaten. Die Taktiken des Hochdruck-Altarrufs haben bewiesen, dass diese "Bekehrungen" hervorbringen, die nur selten dauerhaft sind. Trotz aller erfahrungsmäßigen Hinweise darauf, dass viele Dinge des traditionellen Modells funktionieren, ist die eigentliche Frage: Was lehrt das NT? Wenn ein Modell dem Muster des Neuen Testaments widerspricht oder es erstickt, sollte es allein aus diesen Gründen abgelehnt werden: Die frühe Kirche hatte keine Geistlichen (Kleriker/Priester) und keine Sakralbauten und unterschied sich in dieser Hinsicht radikal von allen anderen Religionen, einschließlich des Judentums. Kirchengebäude (Mauerkirchen) stellen einen grundlegenden Kompromiss (eine Abweichung) dessen dar, was Christus eigentlich bauen wollte. Daher stellen Gläubige, die sich in neutralen Umgebungen wie Häusern, gemieteten Geschäftsgebäuden, im Freien und in privaten Wohnungen versammeln, anscheinend den besten Kontext dar, um die 58 mal im Neuen Testament erwähnten "einander" (z.B. „dient einander durch die Liebe“Galater 5:13) zu verwirklichen."

 

 

Offensichtlich hatten die Verfasser des Neuen Testaments ein klareres Verständnis von dem, was "die Gemeinde (Kirche)" wirklich ausmachte, etwas, das den meisten heutigen Christen fremd ist. Sie bezeichneten das Volk Gottes als „Bauwerk Gottes“ (1 Korinther 3:9;   Epheser 2: 19-22), „Tempel Gottes„ (1 Korinther 3: 16-17), „Gottes Haus“ (1 Timotheus 3:15;  Hebräer 3: 6) , 10:21; 1 Peter 2:17), „Gottes Haushalt“ (Epheser 2:19, Galater 6:10) und als „Leib Christi“ (Römer 12: 4-5; 1 Korinther 12:12;  Epheser 3: 6, 5:23) 30). Christen im Neuen Testament „gingen nicht zur Kirche“. Sie waren die Kirche (Gemeinde)! Sie waren Gottes Gebäude! Sie waren Gottes Tempel! - Wie Howard Snyder in "The Problem of Wineskins Today" (Das Problem der heutigen Weinschläuche) kurz und bündig formuliert: "Ein Kirchengebäude kann nicht wirklich „das Haus des Herrn“ sein, da dieser Titel im neuen Bund für die Kirche/Gemeinde als Volk Gottes reserviert ist. Wenn Kirchengebäude also eine Berechtigung haben, dann nur in praktischer Form und einfach als ein Ort, an dem ihr euch nach Bedarf treffen und wichtige Funktionen ausführen könnt.“

In einem Artikel mit dem Titel "Four Tragic Shifts in the Visible Church 180-400 A.D." (Vier tragische Verschiebungen in der sichtbaren Kirche von 180-400 n. Chr), schreibt J. Zens. "Einige behaupten, dass wir dieses Beispiel deshalb nachahmen sollten, weil sich die frühe Kirche in erster Linie zu Hause getroffen hat. Ich denke, der wichtigste theologische Punkt des Neuen Testaments in dieser Hinsicht ist jedoch, dass es unter dem Neuen Bund keine heiligen Stätten gibt. Das zeitgenössische Christentum hat fast keinerlei Verständnis für diesen wichtigen Punkt: Ausgehend vom Alten Bund glauben die Menschen immer noch, dass ein Kirchengebäude „das Haus Gottes“ ist. Doch den Gläubigen steht es frei, sich an jedem Ort zu treffen, an dem sie die von Christus gesetzten Absichten fördern, pflegen, verwirklichen und erreichen können. Das Problem ist heute, dass viele kirchliche Strukturen die Absichten Christi für seinen Leib weder fördern noch erfüllen. Häuser sind für die Gläubigen neutrale Plätze, um sich zu treffen. Die frühe Kirche blühte auf bis in das erste und zweite Jahrhundert hinein, ohne tempelähnliche Gebäude zu errichten. Denn es geht nicht darum, an welchem Ort sich die Gläubigen versammeln, sondern darum, welche Form ihr engagiertes Zusammenleben annimmt, wenn sie mit den zahlreichen Pflichten und Privilegien ringen, die sich aus dem Priestertum aller Gläubigen ergeben.

Christian Smith, der für die Zeitschrift Voices In The Wilderness (Stimme in der Wildnis) schreibt, entwickelt dieses Thema weiter. "Gott beabsichtigt, dass die Kirche eine Gemeinschaft von Gläubigen ist, in der jedes Mitglied seine besondere Begabung, sein Talent oder seine besondere Fähigkeit zum Ganzen beiträgt, damit durch die aktive Teilnahme und den Beitrag aller die Bedürfnisse der Gemeinschaft befriedigt werden. Mit anderen Worten: Was wir in unseren Gemeinden sehen sollten, ist "der Dienst des Volkes", nicht "der Dienst des Fachmannes". Die Rolle des Klerus [d.h. der Kirchenführung/Gemeindeleitung] besteht im Wesentlichen in der Professionalisierung und Konzentrierung der Gaben des gesamten Leibes Christi auf eine einzige Person. Das Problem ist, dass unabhängig davon, was unsere Theologien über den Zweck des Klerus aussagen, die eigentliche Wirkung des Klerusberufs darin besteht, dass der Leib Christi erlahmt. Dies geschieht nicht, weil Geistliche das beabsichtigen (sie beabsichtigen normalerweise das Gegenteil), sondern weil die objektive Natur dieses Berufs die Laien unweigerlich in passive Empfänger verwandelt.

 

Diese Tatsache wird in solchen Abschnitten wie Römer 12:4-8; 1 Korinther 12 und in 1 Korinther 14:26 bestärkt, in denen es heißt. "Was sollen wir nun sagen, Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, habe jeder einen Psalm oder ein Wort der Belehrung, eine Offenbarung, eine Sprachenrede oder eine Auslegung. All dies soll zur Erbauung der Gemeinde geschehen." Der Dienst in der neutestamentlichen Gemeinde konzentrierte sich nicht auf einen einzigen Mann [den Pastor], sondern er bezog jedes einzelne Mitglied der "Ekklesia" als tätigen "Priester" (1 Petrus 2:5,9) unter der Leitung Christi mit ein und wurde vom Heiligen Geist geleitet, sodass jede/r seine/ihre Gabe ausüben konnte zur gegenseitigen Erbauung des Leibes.

 

Philip Schaff datiert in seiner viel beachteten 8-bändigen Sammlung "History of the Christian Church" die Trennung von Christen in Geistliche und Laien bis ins dritte Jahrhundert. "Während des dritten Jahrhunderts wurde es üblich, den Begriff "Priester" direkt und ausschließlich auf die christlichen Dienste anzuwenden, insbesondere auf die Bischöfe. In der gleichen Weise wurde die gesamte Geistlichkeit (= jene, die in eines der Dienstämter eingesetzt waren), und ausschließlich diese, "Klerus“ genannt, mit einem doppelten Bezug auf das Amt der Leitung (Führung) und einer besonderen Beziehung zu Gott. Durch diese Bezeichnung wurde der Unterschied zwischen den "Geistlichen" (Leitern) und dem christlichen Volk oder den "Laien" herausgestellt. In der (urchristlich) apostolischen Gemeinde waren das Predigen und das Lehren nicht auf eine bestimmte Klasse (Gruppierung) beschränkt, sondern jeder Bekehrte (wiedergeborene Gläubige) konnte den Ungläubigen das Evangelium verkünden, und jeder Christ, der die entsprechende Geistesgabe hatte, konnte in der Gemeinde beten, weissagen, lehren, trösten und ermahnen. Das Neue Testament kennt keine geistliche Aristokratie oder Adelsherrschaft, sondern nennt alle Gläubigen "Heilige", obwohl viele von ihrem Wandel her ihrer Berufung bei weitem nicht nachkamen", schreibt Schaff. "Es [das Neue Testament] akzeptierte auch keine besondere Priesterschaft als Mittlertum zwischen Gott und den Laien, die sich vom Volk absetzte. Es kannte nur einen einzigen Mittler und Hohenpriester, nämlich Jesus Christus (1 Tim 2:5,6), und es lehrt eindeutig das allgemeine Priestertum sowie das allgemeine Königtum aller wiedergeborenen Gläubigen." (Siehe 1 Petrus 2:5,9;  Offb. 1:6;  5:10;  20:6)

 

Laut Zens entfernen sich jetzt einige institutionelle Kirchen von klerusbezogenen, hierarchischen Strukturen und setzen sich wieder für das „Priestertum aller Gläubigen“ ein, um diese Widersprüche zu beseitigen und der neutestamentlichen Lehre gerecht zu werden. "Ich glaube, das beschriebene Phänomen hat jetzt auch die traditionellen Kirchen veranlasst, die Funktionalität ihrer Strukturen zu überdenken. In den letzten 20 Jahren gab es eine Fülle von Büchern, die sich für weniger Klerikalismus und mehr Priestertum aussprachen. Larry Richards Buch "New Face for The Church" (Ein neues Gesicht für die Kirche) war in dieser Hinsicht eines der ersten Aufsehen erregenden Bücher, und Howard Snyders Buch "The Problem of Wineskins"(Das Problem der Weinschläuche) war ein weiterer Meilenstein: Einige institutionelle Kirchen/Gemeinden spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, so dass sie die große Zahl der Gemeindemitglieder unter der Woche in kleinere Haus- oder Zellgruppen aufteilen. "

 

Eine Reihe von Beobachtern vertritt die Ansicht, dass die Rückkehr zur Einfachheit und Intimität (Innigkeit/Vertrautheit) des neutestamentlichen Christentums Teil des Gesamtplans Gottes ist, seine Gemeinde auf schwierige Tage vorzubereiten.

 

Al Dager schreibt in einer aktuellen Ausgabe von Media Spotlight. "In Anbetracht der Tatsache, dass es einige Gemeinden gibt, deren Führer ihre Arbeit mit demütig dienendem Herzen und gottesfürchtigem Geist verrichten, sind wir dennoch zu dem Schluss gekommen, dass die überwiegende Mehrheit der Kirchen sich dem globalen ökumenischen Religionssystem zuwendet, das letztendlich das einzige sein wird, das von den Regierungen anerkannt wird. Diejenigen, die sich den politisch korrekten Maßstäben der religiösen Welt-Gemeinschaft widersetzen, werden schließlich gezwungen sein, sich entweder anzupassen oder ihren Steuerbefreiungsstatus zu verlieren. Während die gegenwärtigen etablierten Formen und Funktionen seit der Reformation ihren Zweck erfüllt haben, werden sie sich als unzureichend und in einigen Fällen sogar als gefährlich für die geistigen und zeitgemäßen Bedürfnisse des Leibes Christi erweisen. Ich will Lehren aus den Erfahrungen jener Brüder ziehen, die in anderen Ländern überlebt haben, in denen der Glaube verfolgt wurde bzw. immer noch verfolgt wird. Meinen wir, wir könnten dem entkommen, was unsere Brüder jahrhundertelang erlitten haben, nur weil wir davon überzeugt sind, dass so etwas in Amerika [bzw. in unserem Land] niemals passieren könnte?! Wir schließen unsere Augen vor der Realität. Die Verfolgung wird von unseren eigenen Haushalten und von den Kirchen selbst ausgehen.“

 

Zens weist darauf hin, dass Christen, die ihrer Überzeugung folgen und die institutionelle Kirche verlassen, um das Leben der neutestamentlichen Gemeinde zu erleben, mit Missverständnissen rechnen müssen. "Wenn Gläubige die institutionelle Kirche verlassen, werden sie oftmals von Freunden und von ihrer Familie missverstanden und diese reagieren dann negativ auf ihr Verhalten. Die institutionellen Kirchenführer behandeln diejenigen, die sich von der Kirche verabschieden, oft mit Verachtung und bezeichnen sie als" Rebellen ". Die institutionelle Kirche hat ein einschüchterndes Wesen. Wer die etablierte Kirche (= Volkskirche) verlässt, der wird von den Leitern als jemand betrachtet, der Christus verlässt. Wir leben hier in Minnesota, das sehr lutherisch ist und die Leute sehen uns als ziemlich seltsam und fremdartig an", sagt er lachend. "Wir wurden als Kult (Sekte) und so weiter betrachtet, aber die Art und Weise, mit der wir den Menschen zeigen können, dass wir kein Kult (keine Sekte) sind, ist, dass wir uns nicht sektiererisch verhalten.“

 

Es ist erstaunlich, dass eine Praxis, die im Neuen Testament klar und deutlich offenbart ist, heute von Christen verleumdet wird. Die Betreffenden reagieren mehr aus Angst und einem Gefühl der Loyalität gegenüber der Tradition als aus Verpflichtung gegenüber der biblischen Wahrheit. Christen in der griechisch-römischen Welt des ersten Jahrhunderts trafen sich zu Hause und Paulus’ Briefe im Neuen Testament richteten sich an Hausgemeinden. Tatsächlich entstand die allererste auf europäischem Boden errichtete Gemeinde in der Stadt Philippi im Haus von Lydia, einer erfolgreichen Geschäftsfrau aus Thyatira. In seinen Briefen an die Christen in Rom, Korinth und Kolossea gibt Paulus die Anweisung, Gemeinschaften zu grüßen, die sich in den Häusern gewisser Glaubensgenossen trafen. (Römer 16:3-5;  1 Korinther 16:19;  Kolosser 4:15)

 

Die oft zitierte Ermahnung der Schrift, "die Kirche nicht zu verlassen“ (Hebräer 10:25), hat das Gewissen jener Christen belastet, die die Gemeinde nicht mehr als "Gebäude" (Institution), sondern als "Volk Gottes" im eigentlichen Sinne betrachten. Der Text lautet wörtlich: „lasst uns aufeinander Acht haben und uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen und unser Zusammenkommen (o. unsere Versammlung/Gemeinschaft) nicht verlassen (o. im Stich lassen). Diese Aussage bezieht sich im Kontext auf jüdische Christen, die erwogen, das Christentum ganz aufzugeben und zum Judentum zurückzukehren, um Verfolgung zu vermeiden. Der Verfasser des Buches an die Hebräer (= jüdische Christen) ermahnte sie daher, nicht aufzuhören, sich in ihren Hausgemeinschaften zu versammeln, denn die frühen Christen zu dieser Zeit hatten ja keine speziell ausgewiesenen Kirchengebäude, in denen Versammlungen abgehalten wurden. Wie Craig S. Keener im Neuen Testament des Bibel-Hintergrundkommentars der IVP ausführt, "trafen sich die Gläubigen in den ersten drei Jahrhunderten der Kirchengeschichte in Häusern anstatt in Kirchengebäuden." Dies änderte sich später (ab der „Konstantinischen Wende“) im Jahr 312, als der Kaiser Konstantin an die Macht kam und (dieser bzw. seine Nachfolger) das institutionelle Christentum zur Staatsreligion in Rom machte, heidnische Tempel in christliche Kirchen umwandelte und staatliche Mittel zur Unterstützung des Klerus verwendete.

 

Howard Snyder schlägt in seinem provokativen Buch "Radical Renewal: The Problem of Wineskins Today" (Radikale Erneuerung: Das Problem der Weinschläuche) vor, dass die Kirche (d.h. die Gemeinde Jesu) die radikale Ekklesiologie (= Gemeindelehre) des ersten Jahrhunderts aufgreift, um die Welt mit der lebensverändernden Botschaft des Evangeliums zu beeinflussen. "Eine biblische Auffassung von Kirche/Gemeinde wird deutlich machen, dass die (wahre) Kirche/Gemeinde für das Evangelium von wesentlicher Bedeutung ist, denn sie ist der Leib Christi", schreibt Snyder. [Die neutestamentlich aufgebaute Gemeinde ist wie ein „neuer Weinschlauch“, der für den „neuen Wein“ des spirituellen Lebens des Heiligen Geistes im Neuen Bund als angemessenes Gefäß dient. - Anm. d. Hrsg.]

 

 

Snyder schreibt: „Gleichzeitig wird klar werden, dass menschliche Institutionen und Strukturen nicht selbst die Kirche/Gemeinde sind; denn diese äußeren Formen sind nicht geheiligt (wie der Leib Christi). In diesen (letzten) Tagen muss den Gläubigen (Christen) klar werden, was die (wahre) Kirche/Gemeinde ist und was sie nicht ist. Ebenso wie es in den letzten Tagen viele falsche Christen geben wird, so wird es auch viele gefälschte und abtrünnige "Kirchen" geben, die die geistliche Landschaft verunreinigen. Die (wahre) Kirche, die Gemeinde Jesu Christi, muss auf die Geißel der Verfolgung und auf die Verführung des Antichristen vorbereitet werden - sowohl die einzelnen Personen als auch die gesamte christliche Gemeinschaft. Das bedeutet, dass eine Notwendigkeit besteht für die Klarheit und Unverfälschtheit der Lehre und für die Authentizität (Echtheit) der Gemeinschaftalso sowohl für die Orthodoxie (Rechtmäßigkeit) des Glaubens (= Rechtgläubigkeit) als auch für die Orthodoxie (Echtheit) der Gemeinschaft. Unter der Bedrohung der Verfolgung wird das Leben in der Gemeinschaft sowohl schwieriger als auch notwendiger. Deshalb muss die Priorität auf Strukturen liegen, die flexibel, mobil, unauffällig und nicht gebäudezentriert sind.“

Auf die Frage, ob das House- and Home-Churches-Movement (die Hauskirchen- bzw. Hausgemeinden-Bewegung) einfach eine weitere religiöse Modeerscheinung ist, der die Menschen bald müde sein werden, antwortete Zens: "Nein, aus mehreren Gründen glaube ich, dass sie niemals nur eine Modeerscheinung sein wird. Erstens dauert sie schon lange Zeit an. In Australien gab es ab 1968 eine bedeutende Bewegung der Home-Churches (Hausgemeinden). In China, Lateinamerika und an anderen Orten der Welt sind Hausversammlungen offensichtlich schon jahrzehntelang das Normale. Zweitens, die Hausgemeinden werden vom Neuen Testament gerechtfertigt und bestätigt und können daher kaum eine Modeerscheinung sein. Wenn in Amerika (oder Europa) Verfolgung ausbricht, könnte das Hauskirchenmodell plötzlich große Verbreitung finden; Kirchen, deren Betrieb einen immensen wöchentlichen Arbeitsaufwand erfordert, könnten praktisch über Nacht zusammenbrechen. Ich denke, es erfordert manchmal katastrophale Ereignisse, um die Gemeinde für das zu erwecken, was im Königreich Gottes wichtig ist. Wenn dies geschieht, wird sich die Form des Zusammenlebens der Gläubigen schnell ändern. Solange unser Wohlstand [und die gewohnte Normalität] anhält, wird sich am formalen Ansatz der Kirche nichts ändern."

[Auch die gegenwärtige Corona-Krise ist ein Katalysator, der einerseits die Funktionalität gewohnten Strukturen blockiert und andererseits zu einem kritischen Umdenken und zur Verhaltensänderung herausfordert. Denn diese Krise hebt noch deutlicher die Konsumorientiertheit der alten Struktur hervor. – Anm. d. Hrsg.]

 

 

"Ob jemand nun zur Minderheit oder zur Mehrheit zählt, ist nicht von Bedeutung. Unsere Sorge muss sich darauf ausrichten: wie können wir Christus in allen Bereichen unseres Lebens nachfolgen. - Werden wir dem Neuen Testament gehorchen oder nicht? - Ein Bruder in unserer Versammlung sagte: ‚Unsere Art, Gemeinde zu bauen, ist nicht beliebt. Sie erfordert harte Arbeit und Engagement (Einsatz).’ Die Hauskirchen-Bewegung ist natürlich nicht gigantisch", betonte Zens. "Ich habe keine Ahnung, wohin sie in den nächsten Jahren führen wird. Aber eines weiß ich: keine Bewegung wird lange gedeihen und zunehmen, wenn sie sich nicht darum bemüht, Jesus Christus zu erheben und Seinem Wort zu gehorchen."

 

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Zum Thema Gemeinde/Gemeinschaft/Hausgemeinde siehe den Link:

 

https://www.exegesa-bibel-lehrdienst.de/warum-gemeinschaft-und-gemeinde/

https://www.exegesa-bibel-lehrdienst.de

 

 

 

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